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Archiv-Artikel

„Du musst ein Schwein sein“

Seit mehr als einem Jahr ist bekannt, dass im polnischen Ligafußball kräftig manipuliert wurde. Der nationale Verband mit seinem Präsidenten Micha Listkiewicz ist mit der Aufklärung das Skandals überfordert. Jetzt will sich die Politik einmischen

AUS WARSCHAU RAFAL WOS

Der schwarze Passat hielt auf einem Waldparkplatz. Aus dem Wagen stieg der Fußballschiedsrichter Antoni Fijarczyk. Er griff in eine Papiertüte, die ihm vor wenigen Sekunden übergeben worden war. Darin waren grüne Hundert- und gelbe Zweihundert-Złoty-Scheine. Insgesamt 100.000 Złoty oder 25.000 Euro. Der Schiri versteckte das Geld im Kofferraum unter dem Ersatzrad. Plötzlich tauchte die Polizei auf. Der überraschte Fijarczyk wurde in Handschellen abgeführt. Das passierte im Mai des vergangenen Jahres. So fing der größte Korruptionsskandal des polnischen Fußballs aller Zeiten an. Seitdem wurden über 40 Leute aus der Fußballwelt verhaftet und angeklagt.

Die Sache mit dem Referee Fijarczyk lief so: Jemand hatte Geld für „richtige“ Ergebnisse von zwei Erstligaspielen geboten. Fijarczyk hatte sich verpflichtet, alles zu organisieren. Doch er wurde erwischt – als erster prominenter polnischer Schiedsrichter. Wer war dieser Jemand? Und wer hatte die Polizei informiert? Die Antwort kam zwei Monate später. In der größten polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza erschien ein Interview unter dem Titel: „Der polnische Fußball ist schwarz“. Der Interviewte: Piotr Dziurowicz, Präsident des gerade abgestiegenen Erstligisten GKS Katowice. Inhalt: „Ich war die Quelle.“ Der polnischer Fußball sei tief korrupt. Und: „Nicht mehr als zehn Prozent der Leute sind sauber.“ Dziurowicz hatte Namen, Vereine, Methoden und Summen genannt. Warum? „Ich hatte die Nase voll. Ich wollte ein neues Leben anfangen. Ich saß ganz tief drin, aber jetzt ist Schluss.“ Dziurowicz wusste, wovon er sprach. Obwohl nur 30 Jahre alt, kannte er die Strukturen sehr genau. Mit 25 hat er den Fußballklub GKS Katowice von seinem Vater quasi geerbt und wurde jüngster Präsident in der Liga. Vater Marian galt als die graue Eminenz des polnischen Fußballs der 80er- und 90er-Jahre. „Mein Vater war ein Denkmal für mich und ich wollte seine Arbeit fortsetzen. Als ich aber das Kommando übernahm, wurde mir schnell klar, wie alles funktioniert. Du musst Spiele kaufen, betrügen und ein Schwein sein“, offenbarte der Aufsteiger. Dziurowicz ging also zur Polizei und bot seine Dienste als Informant an. Im Austausch sollte er straffrei ausgehen. So brach die Omerta, das Schweigegelübde im polnischen Fußball.

Und der Fußballverband, wie reagierte er auf die Aussagen des Juniorpräsidenten? „Das sind schwarze Schafe, die es in jedem Milieu gibt“, so Verbandschef Micha Listkiewicz, ein ehemaliger Schiedsrichter, als die ersten Unparteiischen im Knast landeten. Schnell war aber klar, dass es hier nicht nur um Einzelfälle geht. Etliche Schiedsrichter waren verwickelt, überdies Vermittler, Spieler, Trainer und Vereinsfunktionäre – genau wie es von Dziurowicz beschrieben worden war. Beinahe jeder Tag brachte neue Erkenntnisse. Präsident Listkiewicz versuchte den Skandal zuerst zu verschweigen, dann versteckte er sich hinter den Erfolgen der Nationalmannschaft, die sich für die WM in Deutschland qualifiziert hatte.

Aber die Fragen sind geblieben: Warum zieht der Fußball-Verband keine disziplinarischen Konsequenzen? Listkiewicz schien ohnmächtig, eine Lösung herbeizuführen. Im Juli bekannte er: „Ich versuche den Verband so gut zu steuern, wie ich kann, aber im Vergleich zu anderen Präsidenten bin ich wie ein Ruderer gegenüber Motorbooten.“ Listkiewicz war nicht mehr als ein Popanz der Verbandsfunktionäre. „Wenn er etwas ändern wollte, schmeißen sie ihn raus“, sagte Zbigniew Boniek, ehemaliger Fußballprofi, der auch einmal kurz Stellvertreter Listkiewiczs war. „Der Fußballverband ist das letzte Bollwerk des Kommunismus in Polen“, donnerte derweil Ex-Torwart und Publizist Jan Tomaszewski.

Der 53-jährige, grauhaarige Listkiewicz führt den Verband seit 1999. Damals sprach er noch über die Säuberung des Milieus, prahlte mit Kontakten zur Fifa-Zentrale, gab sich ganz anders als seine drögen Vorgänger. Inzwischen aber gehört Listkiewicz zu den unpopulärsten Personen in Polen. Beim Buchmacher Bet.24 kann man sogar wetten, ob er bis Ende dieses Jahres vor Gericht gestellt wird. Quote: 1 zu 1,5. Der Präsident selbst fühlt sich massiv unter Druck gesetzt: „Ich wurde auf den Straßen beschimpft. Ich kriege schlimme Anrufe. Das Grab meiner Mutter wurde geschändet“, erzählte er vor kurzem im Fernsehen. Trotzdem will er auf sein Amt nicht verzichten.

Er hält sich nach wie vor für unverzichtbar und glaubt fest an seine Freundschaft mit Fifa-Chef Joseph Blatter. Man darf dabei nicht vergessen, dass Polen die Euro 2012 ausrichten will. Da braucht man starke Verbündete im Fußball-Weltverband; Polen ist gemeinsam mit der Ukraine einer der drei Kandidaten. Doch in der vergangenen Woche wurde der Druck offenbar zu groß: Listkiewicz kündigte seinen Rücktritt für Ende Oktober an. Anderthalb Jahre nach dem Beginn der Affäre scheint es so, als bekomme die Öffentlichkeit Listkiewiczs Kopf doch noch. Nun hat sich auch die Politik eingemischt: Ein Regierungskommissar soll den Verband kontrollieren, wie Sportminister Tomasz Lipiec sagte. Doch ob es wirklich so kommt, ist wegen der Regierungskrise in Polen unklar.

Die Fifa jedenfalls mag es gar nicht, wenn Politiker die Autonomie des Verbands untergraben. Sie könnte Polen sogar als Mitglied suspendieren, warnt Listkiewicz. In der Politik sieht man das jedoch anders. „Ich habe mit Präsident Blatter gesprochen“, sagt etwa Janusz Wójcik, Fußballtrainer und einflussreicher Parlamentarier. „Wir haben ihm erklärt, dass der polnische Fußball nur von außen saniert werden kann.“ Joseph Blatter dürfte das mit einiger Skepsis aufgenommen haben.